Der Krieg in Stueren, wenig genug hörte man heuer darüber. Manchem mag dies ein gutes Zeichen sein, doch müssen der Geschichte dieses widerstreitenden Blutvergießens nun von offizieller Stelle neue Abschnitte hinzugefügt werden. So seien dem geneigten Leser die Geschehnisse des letzten Jahres auf den folgenden Seiten zusammenhängend verlautbart:
Ende des Winters 41 bis Frühsommer 42 n.A.III: Die Natur erwacht, der Krieg verbleibt im Winterschlaf
Wieder einmal hatte der gestrenge stuerener Winter den Kampfhandlungen ein Ende bereitet. Die Winterquartiere wurden bezogen. Außer Ausbildung, Drill und Patrouillentätigkeit herrschte jähe Ruhe. Im Niemandsland kam es manchmal zu einem Aufeinandertreffen der Feinde, was mit heftigem Säbelrasseln einherging, doch selten blutig verlief.
Nach den vielen Monden des Krieges, erschöpfender Kämpfe im Hin und Her, schienen zunächst alle drei Parteien ihre Kräfte und Geldsäckel zu schonen. Wie gesagt, kam es zwar ab und an zu kleineren Scharmützeln, aber insgesamt schien keine Seite vorerst größere Anstrengungen unternehmen zu wollen. Dazu Schwertführer Ritter Samuel von Turlach:
„Wir hatten in den letzten Jahren Erfolge erzielt, Gelände gewonnen, den Gegner zurückgetrieben. Aber auch uns hat dies Kraft gekostet. Zusätzlich muss nun jeder Sack Mehl viele Meilen zusätzlich nach vorne gebracht werden. Konsolidierung tut not! Wir sind noch immer Fremde hier, kennen uns noch nicht ausreichend gut aus und sollten sichergehen, dass wir nicht so einfach wieder zurückgeworfen werden können. Zuletzt können wir nicht jedes Jahr für solch große Anstrengungen unsere Kassen plündern.“
Die beiden anderen Parteien schienen es ähnlich zu halten. Ruhig, zumindest nahezu ruhig, blieb es auf den schwertdurchpflügten Feldern.
Sommer 42 n.A.III: Schlag und Rückschlag
Und doch musste sich im Hinterlande der Aurelianer etwas Bedeutsames zugetragen haben. Gerade als das Gerücht einer großen Anwerbung neuer Reisige bis an heligonische Ohren gelangte, befand sich das vergrößerte aurelianische Kontingent auch schon in Marsch gesetzt, gen Mitte des Herzogtums. Die wenigen vorgeschobenen heligonischen Posten fast achtlos beiseite drückend, marschierten die Aurelianer unaufhaltsam und in großer Mannstärke wider das stuerener Kernland, Provinz Faerenburg geheißen. Erst gewannen sie eine Reihe von Scharmützel aufgrund ihrer schieren zahlenmäßigen Überlegenheit, dann banden sie die Verteidiger in einer größeren Schlacht vor Seruaris-Haupt, dem oberen Lauf des gleichnamigen Flusses, aus welcher die Truppen Gräfin Aurelias ebenso siegreich hervorgingen. Von da an gab es für die Eindringlinge kein Halten mehr, und die siegreiche Soldateska drang nahezu unbedrängt auf jenen Boden vor, auf welchen – will man den Angaben der hiesigen Münder Glauben schenken – seit Jahrhunderten keine feindliche Armee mehr vorstieß. Gyldencron, die unberührte Hauptstadt selbst, schien das Ziel und mit einem Mal durchaus in greifbarer Reichweite der Aurelianschen. Im Grunde schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, ehe sie an deren Mauern gelangten und die sagenumwobene Stadt unter schwerer Belagerung stellen würden, denn kaum geschwächt, rückte die Armee Aurelias immer weiter vor.
Dann jedoch folgte mit einem Mal der Wendepunkt. Zunächst verloren die Aurelianer eine kleinere vorgesetzte Truppe Plänkler, die ein Seitental sichern sollte. Dem folgte eine andauernde Anreihung schwerer Niederlagen. Die Berichte, die hierüber ins Lager der Drachenhainer und Ostarier gelangte, schienen allzu wirr und in ihrer Ausgestaltung den irren Schrecken des Krieges geschuldet zu sein: so sprachen geflohene Augenzeugen davon, dass die Sterne vom Himmel gefallen seien und Stueren zum Sieg verholfen hätten. Ja, das Licht selbst sei für die Sache des Herzogtums wider seine Feinde ins Feld gezogen. Wie dem auch sei, letztlich wurden die vormals so großen aurelianischen Vorstoßverbände beinahe vollständig aufgerieben. Die restlichen Truppen zogen sich, mehr flüchtend denn geordnet, zurück, bis sie sich auf der Klamm von Dernfall, mittels rasch wiedervereinter Verstärkungen anhaltend stabilisieren konnte. Am Ende gelang es ihnen am Ufer von Seruaris-Fuß doch noch – ein wenig also hinter den Ausgangspunkt ihrer Kampagne zurückgeworfen – den heraus preschenden Stuerenern mit letzter Kraft Einhalt zu gebieten. Die Kampagne Gräfin Aurelias dauerte somit nicht länger als wenige Wochen an, die Schläge waren rasch und hart gefallen. Ehe die Nachrichten auf heligonischer Seite überhaupt recht verarbeitet werden konnten, trafen bereits neue ein, so dass den Unsrigen wenig Gelegenheit und Handhabe zur direkten Einflussnahme blieb.
Das Einsetzen des Herbstregens setze indes all dem ein jähes Ende, durch Schlamm und Matsch erlahmte schließlich auch die Kraft der nachrückenden Stuerener und neugezogene Frontlinien erstarkten einmal mehr.
Herbst 42 n.A.III: Unsicherheiten
Der Herbst brachte zwielichtes, unsicheres Wetter. Und Unsicherheit machte sich sowohl bei den einfachen Männern im Feld, wie auch unter den Kommandeuren des ostarisch-drachenhainer Allianzheeres breit: Welche schreckliche Waffe hatte der stuerener Feind da zu seiner Landesverteidigung eingesetzt? Was war da dran, an den Gerüchten, der vom Himmel fallenden Sterne, sowie brennender Lichtgestalten, den sogenannten Gleißenden?
Ansonsten, auf allen drei Frontseiten wieder einmal reine Patrouillentätigkeit. Die Zeit der großen Schlachten schien zunächst vorbei, allein ein Ringen um Kenntnisse und Einblicke in die Gedanken und Strategien der anderen ergab sich. Scharmützel fanden daher statt. Routen wurden belagert, Kuriere abgepasst. Männer und Frauen gingen verloren. Aber auch die Unsrigen nahmen Feinde zur Befragung in Gewahrsam. Nach und nach ergab sich ein – wenn auch ungenaues – Bild der misslungenen aurelianischen Sommerkampagne wider Faerenburg. Demnach hatten die Aurelianer, einigermaßen heimlich im abgeschirmten Hinterland, ihre Armee gesammelt und dazu große Mengen an Nachschub, Waffen und Rüstung herbeigeschafft – unter den gegebenen Bedingungen wahrlich keine Kleinigkeit. Dank der gelungenen Überraschung, der zahlenmäßigen Überlegenheit und des taktischen Geschicks, glückte ihnen ein schnelles, weitgehend unbedrängtes Vorankommen, bis kurz über die Grenze des Faerenburger Landesteils, der auch oft als das stuerener Kernland bezeichnet wird. Gemäß den Geschichten der in Gewahrsam genommenen Befragten, schütze der Eine das Kernland vor allem anderen. Dorthin entsende er den Seinen in höchster Not die Gleißenden, jene Lichtgestalten, welche mit großer Macht und Kraft ausgestattet seien. Kein Gegner könne ihnen entrinnen – soweit die Mär.
Alsbald senkten sich hernach die ersten Fröste übers unnatürlich stille Land und manch durchwachte Nacht erlebten die Hauptleute der Unsrigen, dank der einen oder anderen quälender Frage:
Wie viel an den Gleißenden ist Wahrheit, wie viel Übertreibung? Würden jene nun auch gegen die ostarisch-drachenhainischen Truppen ins Feld geführt werden?
Zumindest schien der Herbst wieder eine Handvoll Ruhe zu bringen und etwas mehr Zeit zu verschaffen.
Spätherbst 42: Erste Waffenruhe, mündlich verbrieft
Mit Frost, Nebel und Sturm schien sich wieder anhaltende Erschöpfung auf die drei Kriegsgegner zu legen. Kaum noch wallten Kampfhandlungen auf, jeder hielt sich hinter seinen Linien. Gelegentliche feindliche Begegnungen im Feld beschränkten sich auf bloßes Säbelrasseln und Fäuste schwingen. Dem folgte, was in diesem verbissen geführten Konflikt keiner je erwartet hätte: die ersten Unterhandlungen seit Kriegsbeginn. So geschehen im II. Xurlmond 43 n.A.III, vor den Stadttoren Clingenheims, einer der Neun Städte und erklärtermaßen Gräfin Aurelia hoch verbunden. Beauftragte Sendboten – unbestätigten Gerüchten zufolge ein ranelöcher Schreiber, ein herdner Fellhändler und eine Söldnerhaufen-Anführerin aus Necmund – handelten eine allgemeine Waffenruhe bis zum 20. Tag des III. Poenamondes aus.
Wie genau es zu dieser Zusammenkunft gekommen war, ist bis dato unbekannt. Nicht einmal, auf wessen Initiative hin die Gespräche ihren Anfang nahmen wurde verlautbart. Jener unerwarteten Wendung nicht genug, hielt die vor den Clingenheimer Fluren getroffene Abmachung – allen Unkenrufen zum Trotze – überraschender Weise sogar bis in den Winter hinein stand.
Winter 42: Weitere Wende, Stuerener Aufruf an den Verhandlungstisch vor Ablauf der Clingenheimer Frist
Keiner hatte damit gerechnet, und doch ist es ausgerechnet die stuerener Seite, die Anfang des I. Saarka, in einer öffentlichen Verlautbarung (s.u.), erstmals für eine persönliche Unterhandlung – „von Antlitz zu Antlitz“ – aller drei Kriegsparteien wirbt.
Jedenfalls lesen dies die Kundigen und Verantwortlichen des vereinigten ostarisch-drachenhainischen Allianzheeres aus folgender, recht kryptisch zu lesenden Botschaft, die durch einen ferenmünder Botschafter unter Parlamentärszeichen, in den allianztreuen Neuen Städten Necfurt, Orechea und Laurenat, zu Gehör gebracht wurde. Möge diese Zusammenkunft unter dem Schirm der Vier stehen, damit der Krieg endlich ein Ende habe.
Heliosbotenberichterstatter Lorenz Lodengrün, Bericht basierend auf ausnehmend sicheren Quellen aus dem Felde