Der Stuerenkrieg – aus Sicht der Drachenhainer daheim

Seit Jahren, so hört man, verläuft der Konflikt mit dem Herzogtum Stueren mit mehr oder weniger großer Heftigkeit. Umso erstaunlicher ist es, dass die Öffentlichkeit anscheinend kaum Anteil an diesem Konflikt – oder besser: Krieg – hat. Gut, seit geraumer Zeit ist relative Ruhe eingekehrt. Die Fronten werden – neben den verbündeten Truppen Ostariens – von der Drachenhainer Hausmacht, aus Subsidienregimenter der drei alliierten Neun Städten, namentlich Necfurt, Orechea und Laurenat, angeworbenen Landsknechten, sowie einigen anderen gehalten und der einfache Mann aus Drachenhain steht kaum noch im Feld. Aber es wurde doch das eine oder andere Gefecht geschlagen. Was wurde aus den Mannen, die dort in den Farben der Drachenhainer standen? Kaum etwas war oder ist von ihnen zu hören. Da wohl kaum einer sagen kann, er sei informiert, schickte der Helios-Bote seine Schreiber aus, um den einfachen Drachenhainer zu fragen, was denn nun vom Krieg gegen Stueren geblieben ist. Man sehe es uns nach, dass wir weder Namen noch Orte nennen werden, denn die meisten der Befragten wünschten, dass eben diese ungenannt bleiben. Warum, das bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Wir werden hier also nur ein paar Meinungen wiedergeben, die wir in ganz Drachenhain sammelten.

„Krieg? Nein, vom Krieg selbst habe ich kaum etwas mitbekommen. Aber das Leben wurde nicht gerade einfacher. Vor drei Jahren schon erhob der Vogt das Vorkaufsrecht auf Zugtiere und im Namen des Fürsten wurden alle Zugochsen, Esel und Pferde aufgekauft, die auf den Markt kamen. Der Preis den sie zahlten war gut, aber die Tiere wurden weggeführt und kamen auch nicht wieder. Das ging alles solange gut, bis dem ersten Bauern sein alter Zugochse geschlachtet werden musste. Da gab es dann plötzlich keinen neuen, denn der Markt war leergekauft. Und wenn man einen Ochsen haben wollte, dann waren die Summen plötzlich horrend. Immer mehr Bauern müssen deshalb die Milchkühe vorspannen, die aber nun wegen der schweren Arbeit weniger Milch geben. Die Senner klagen nun, dass die kaum noch Käse machen können und schon so manches Kälbchen war zu mager, um das erste Jahr zu überstehen. Das könnte ich nun so weiterspinnen, aber ich denke ihr wisst, wo das endet.“

„Ach geht mir fort mit diesem Krieg! Alles Korn haben die aufgekauft. Ja, sie haben dafür bezahlt, keine Frage. Ein Beamter kam mit ein paar Bütteln. Der Beamte hat ausgerechnet, wie viel man für Familie, Aussaat und Vieh braucht bis zur nächsten Ernte und den Teil hat er gelassen. Den Rest hat er mitgenommen. Man hatte keine Wahl, ob man verkaufen wollte oder nicht. Beim Peturhof hat aber ein Sturm ein Loch ins Dach gemacht und einen Teil vom Korn verdorben. Und nun müssen sie wohl beim Vogt um Brot betteln, wenn sie über den Winter kommen wollen. Die Handwerker im Dorf unten, die können kaum noch Wandergesellen anstellen. Sie hätten mehr als genug Arbeit und Geld auch, um sie zu bezahlen. Aber für das Geld kann man kaum Brot kaufen und was soll der Geselle beißen, damit der Hunger vergeht? Mögen die Viere geben, dass der nächste Frühling früh kommt, denn sonst wird die Suppe noch dünner, als sie eh schon ist.“

„Wart ihr schon mal im Hafen? Oder im Handwerkerviertel? Jedes zweite Schiff fährt nun in den Norden, um die Truppen zu versorgen. Die Handwerker machen nun mehr Schwerter, Spieße und Rüstungen, statt der Dinge für den Alltag, die sie früher machten. Wenn ihr einen neuen Kessel kaufen wollt dann kostet der doppelt so viel wie vor ein paar Jahren. Die Händler haben kaum genug Waren zu verkaufen, um einen Kahn zu füllen. Und einen Kahn zu mieten kostet Unsummen. Natürlich verdienen die Handwerker gut, aber die Händler gehen vor die Hunde. Es gibt ja kaum was zu handeln.“

„Ihr fragt, ob Fürst Leomar alles im Griff hat? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Der ist seit vielen Monden im Süden von Stueren. In diplomatischer Mission, wie man sagt. Er reist wohl zwischen den Neun Städten hin und her und versucht eine Allianz für die unsrige Sache zu schmieden. Er scheint dort wohl einige Erfolge zu haben, aber genaues kann und darf ich nicht sagen. Mehr Sorge macht mir aber das Fürstentum. Leomar regiert hier durch seine Stellvertreter in den Hohen Ämtern und mittels Anweisungen aus dem Felde. Das reicht fürs Grobe und Ganze, aber die Kleinigkeiten bleiben auf der Strecke. Die ungeklärten Rechtsstreitigkeiten türmen sich auf, weil der Fürst als Richter und Schlichter fehlt. Auch auf der Drachentrutz sind viele Kleinigkeiten offen, trotz engagiertem Burgvogt Kerstan von Tuachall. Eben die Fragen, die man dem Fürsten zwischen Tür und Angel stellte. Ja, die großen Angelegenheiten des Fürstentums sind gut geregelt, aber die Kleinigkeiten? Und seine Gemahlin kann auch nicht alles abfangen, schließlich muss sie auch Tlamana regieren. Ob das schlimm für unser Land ist? Im Moment nicht, aber auf Dauer wohl schon. Ein stolzer Palast zerfällt nicht von heute auf morgen. Es beginnt mit kleinen Rissen. Die Risse aber wachsen, das sehe ich. Hoffentlich kommt er bald wieder, unser Fürst.“

„Krieg? Keine Opfer? Eine Lüge! Natürlich gibt es Opfer! Unser Ort sandte 20 tapfere Männer aus. 20! Und ein Jahr später, da kamen nur noch 14 zurück. Wo die anderen waren? Im Feld geblieben. Tot. Mausetot! Einige hätten die Höfe der Väter übernehmen sollen und nun ist kein Erbe da. Andere hinterließen Frauen und Kinder, die nun selbst schauen müssen, wo sie bleiben. Von den 14 aber, die zurückkamen sind auch nicht alle gesund. Drei haben tiefe Wunden erlitten. Von denen geht es dem Majes noch am besten. Der hat ein Auge verloren. Sieht nicht hübsch aus, aber wenigstens kann er seine Arbeit als Bauer noch machen. Der Wiedemann, der war Drechsler und dem haben sie eine Hand abgeschlagen. Nun sitzt er in Lumpen unten am Südtor und bettelt sich sein Brot zusammen. Drechseln mit einer Hand, das geht einfach nicht. Am unheimlichsten ist es aber beim Jockel. Der sitzt den ganzen Tag mit starrem Blick auf dem Hof. Mal sagt er fünf Tage nichts, mal redet er wirres Zeug, mal schlingt er die Arme um seinen Leib und wiegt sich selbst. Sie sagen er würde auch nachts da sitzen. Er war mal groß, stark und schön, jetzt ist er wie ein Gespenst und seine junge Frau, die verzweifelt an ihm. Der Leib vom Jockel hat nichts abbekommen, aber der Krieg hat seine Seele getötet, so sagen manche.“

„Man muss machen, dass der Krieg weggeht, sagt meine Mama. Ich will meinen Papa wieder haben und wenn der Krieg weggeht, dann kommt der Papa wieder, sagt die Mama. Mama muss auch viel weinen wegen dem Krieg. Ich mag nicht, dass die Mama weint.“

Der geneigte Leser möge selbst darüber befinden, wie diese Meinungen von verschiedenen Drachenhainer Bürgern zu verstehen sind.

Gesammelt und zusammengestellt in den Xurlmonden des Jahres 42 n.A.III,
vom Freien Schreiberling Henman Jettenstall